Wie ist das Leben in einem Priesterseminar? Geht es da zu "geistlich" zu, ist man zu weit weg von der "normalen Welt"? Das hat sich Johannes Köhler gefragt, bevor er Seminarist in Sankt Georgen wurde. In einer katholisch.de-Serie berichtet er 2019 aus erster Hand.
Teil 1: "Eine Mischung aus Studentenwohnheim und Kloster"
Nicht verwunderlich scheint meine "kirchliche Karriere", die mich schließlich ins Priesterseminar Sankt Georgen geführt hat: Vater Pastoralreferent, Mutter Gemeindereferentin, aufgewachsen im Pfarrhaus in Frankfurt-Heddernheim. Taufe, erste heilige Beichte und Kommunion in St. Peter und Paul; dort anschließend mit Freude und Eifer Ministrant.
Der erste Besuch im Seminar
Daneben war und bin ich auch Pfadfinder im Stamm Wikinger, der zur Deutschen Pfadfinderschaft Sankt Georg (DPSG) gehört und die pfadfinderisch-bündische Tradition pflegt. Bis heute bin ich dort Kurat (geistlicher Leiter). Auch war ich – ganz "klassisch" – in der Pfarrgemeinde aktiv, in der Jugendarbeit und als Küster. Nach dem Abitur am humanistischen Lessing-Gymnasium im Frankfurter Westend, entschied ich mich zunächst für ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ). Schließlich ging auch das aufs Ende zu. Der Entschluss ins Priesterseminar einzutreten, war schon länger gefallen.
Bei meinem ersten Besuch im Seminar war ich gespannt. Ich wusste, dass ich einige Wochen später hier meine Ausbildung beginnen würde. Meine Vorstellungen von einem solchen Haus waren noch sehr ungenau. Zwar kannte ich Priester und Theologen, die in Sankt Georgen gewesen waren. Aber die Jesuitenhochschule und das Priesterseminar hatten sich seitdem verändert. Nicht nur baulich. Und das ist vielleicht das erste, das diejenigen sagen, die mich in Sankt Georgen besuchen kommen: "Das sieht ja ganz anders aus, als ich es mir vorgestellt habe." Die meisten stellen sich ein altes kloster- oder schlossähnliches Gebäude vor. Und manche fragen sogar nach dem Schlafsaal.
Tatsächlich aber sind die Gebäude auf dem Campus von Sankt Georgen alle zu unterschiedlichen Zeiten entstanden, aber alle innerhalb der letzten 90 Jahre. Und sie bilden nicht wirklich ein ganzes. Außerdem hat jeder Seminarist natürlich sein eigenes Zimmer, einen Schlafsaal gab es nie. Für mich war das zumindest nicht sehr überraschend. Als Schüler hatte ich den Campus zu öffentlichen Abendvorträgen angesehen und auch schon eine Führung über das Gelände mitgemacht.
Zu weltfremd?
Aber wie ist das Leben hinter "den Mauern" von Sankt Georgen? Denn immerhin das stimmt: Der weitläufige Park ist rundum von einer Mauer umgeben. Wie bei einem Kloster und so ähnlich stellen sich die meisten so ein Priesterseminar schließlich auch vor. Auch ich habe mir das so ähnlich vorgestellt. Gemeinsame Gebetszeiten, gemeinsame Mahlzeiten, geistliche Atmosphäre. Ein bisschen schwang auch die Befürchtung mit: vielleicht ein wenig zu "geistlich" und zu weit weg von dem, was man die "normale Welt" nennen würde. Zu weltfremd eben.
Dann kam mein erster Besuch im Priesterseminar. Der damalige Regens erklärte mir das Leben dort mit einem Satz, den ich mir bis heute gemerkt habe: "Wissen Sie, eigentlich ist das hier eine Mischung aus Jugendherberge und Kloster." Eine seltsame Vorstellung, aber irgendwie stimmt es. Ich würde allerdings eher sagen: Eine Mischung aus Studentenwohnheim und Kloster; denn in einer Jugendherberge ist doch deutlich mehr Wechsel in der Besetzung. Im Priesterseminar bleibt die "Belegschaft" (wir nennen sie "Seminargemeinschaft") doch zumindest für ein bis zwei Semester relativ konstant – und einige bleiben über Jahre zusammen.
Aber zunächst zum Kloster: Natürlich gibt es gemeinsame Gebetszeiten im Priesterseminar Sankt Georgen, aber nicht so viele wie im Kloster (und andere Priesterseminare haben auch mehr als wir). Das liegt zum einen daran, dass sich der Tagesablauf der Studenten im Priesterseminar doch sehr voneinander unterscheiden kann, zum anderen aber auch daran, dass wir von Jesuiten ausgebildet werden. Die legen großen Wert auf Eigenständigkeit und haben im Vergleich zu anderen Ordensgemeinschaften keine Tradition gemeinsamer Gebetszeiten. Auf der anderen Seite wird viel Wert auf das persönliche Gebet des Einzelnen gelegt. Für die spätere Situation als "Weltpriester" ist das sicher richtig. Ob das auch für die Zeit im Seminar gilt - dazu gibt es sehr unterschiedliche Meinungen. Vielleicht wären ein paar mehr gemeinsame Gebetszeiten doch sinnvoll, um ins geistliche Leben hineinzuwachsen.
Zumindest Teile des Stundengebetes, also der über den Tag verteilten Gebetszeiten, die für Mönche und auch Kleriker verpflichtend sind, beten wir aber gemeinsam. Auch die Hl. Messe feiern wir in der Regel zusammen in der Seminarkirche – und viele Seminaristen treffen sich darüber hinaus zum Beten. Die "klösterlichste" Zeit ist sicherlich der "Stille Abend" am Dienstag. Schließlich ist der durch gemeinsame Messe, eucharistische Anbetung, Komplet (Nachtgebet) in Gemeinschaft und Schweigen bis zum Morgen geprägt. Dann treffen wir uns auch zu den gemeinsamen Laudes (Morgenlob). Wobei sich nur die Priesterkandidaten eines Heimatbistums versammeln. In Sankt Georgen werden nämlich Priesterkandidaten verschiedener Bistümer ausgebildet. Um den Zusammenhalt unter den Seminaristen aus den gleichen Bistümern zu stärken, haben sich diese gemeinsamen Gebetszeiten entwickelt. Mit der ganzen Seminargemeinschaft beten wir nur an besonderen Tagen – den "Festen im Alltag" – zusammen die Laudes.
Auf ein Bier in der Hausbar für die besten Gespräche
Die anderen Abende in der Woche kann es aber auch weniger geistlich und fromm zugehen. Immerhin wohnen hier im Priesterseminar vorwiegend junge Männer zusammen. Und so gibt es auch Abende, an denen man auf einem der Balkone sitzt und bei einem Glas Wein auf die Skyline Frankfurts schaut. Oder Abende an denen man sich "auf ein Bier" in der eigenen Hausbar verabredet. Die ist generell ein wichtiger Ort. Nicht nur, dass es hier mittlerweile eine kaum zu überschauende Anzahl verschiedener Biere gibt. In unserer "Papa-Bar" hängen die Bilder der Päpste und allerhand Erinnerungen aus vielen Jahrzehnten Sankt Georgener Seminargeschichte. Immerhin werden hier seit etwas mehr als neunzig Jahren Priester ausgebildet. Das wichtigste an der Seminarbar ist aber: Hier werden die besten Gespräche geführt. Fernab von Studienfragen, unbeobachtet von der Ausbildungsleitung, entwickeln sich persönliche Gespräche. Denn allzu oft geht es am Esstisch doch nur um Allgemeinplätze und Kirchenpolitik. Aber gerade der Austausch mit anderen, die auf dem Weg sind, ist bestärkend oder wirft neue Fragen auf, gibt neue Impulse. Nur so kann man an und in seiner Berufung wachsen.
Meines Erachtens passt die Beschreibung des Priesterseminars als "Mischung aus Studentenwohnheim und Kloster" also ziemlich genau. Und ich bin überzeugt, dass das auch gut so ist. Auf einem Studientag zum Thema "Priester – Bilder. Rollen. Theologie" der Katholischen Akademie in Bayern im vergangenen Jahr beschrieb der Journalist Patrick Schwarz das Bild des Priesters als "Zwei-Beiner". Nach dem sehnten sich die Menschen seiner Meinung nach. Ein Bein solle der Priester im Himmel haben, aber mit dem anderen solle er fest auf dem Boden der Welt stehen. Mir hat dieses Bild sehr gut gefallen und darum glaube ich, gehören beide Elemente auch zum Priesterseminar dazu: das ganz normale Studentenleben, aber eben doch mit einer geistlichen Haltung und Perspektive.
Teil 2: Bloß kein "typischer Seminarist" werden
Bevor es mit dem Theologiestudium in Sankt Georgen losging, trafen wir "Neuen" uns für drei Wochen in einem Exerzitienhaus in Dresden. Das Tagesprogramm war geprägt von "ora et labora": Neben Gebet, gemeinsamer Eucharistiefeier und geistlichen Gesprächen stand auch Mitarbeit im Garten auf dem Programm – und das gegenseitige Kennenlernen. Es waren für mich unglaublich schöne Wochen. Jahrelang hatte ich darauf gewartet, in das Priesterseminar einzutreten, jetzt sollte die Ausbildung endlich beginnen.
Der Exot mit dem merkwürdigen Wunsch, Priester zu werden
Etwas in Sorge war ich aber schon, als ich mich mit zwei anderen Limburger Kandidaten auf den Weg nach Dresden machte. Wie würden die anderen Seminaristen sein? Bin ich fromm genug? Was, wenn ich die anderen komisch finde? Im Endeffekt waren es mit die glücklichsten Wochen meines Lebens. Ich hatte das Gefühl, angekommen zu sein. Es waren im geistlichen Leben sehr intensive Wochen, aber es war auch eine wirklich gute Gemeinschaft – trotz durchaus sehr unterschiedlicher Charaktere, die da versammelt waren. Gleichgesinnte, aber nicht Gleichdenkende. Und zwar nicht nur in Dresden, sondern dann auch in Sankt Georgen.
Dort war ich plötzlich nicht mehr der Exot mit dem merkwürdigen Wunsch, Priester zu werden. In der Schule war ich das schon irgendwie. Seit ich in der achten Klasse einmal gesagt habe, dass katholischer Priester mein Berufswunsch ist. Damals hatte ich gerade Alt-Griechisch als dritte Fremdsprache gewählt. Schon als Vorbereitung auf das Theologiestudium. Seit diesem Zeitpunkt war ich "gefragt". Als Diskussionspartner über alle "heißen Eisen" in der katholischen Kirche und zu allen Fragen des Glaubens, die meinen Mitschülern einfiel. Aber ich glaube, manche hat dieser Berufswunsch auch irritiert.
In Sankt Georgen angekommen, fand ich eine auch für mich fremde Welt vor. Das Studium selbst kannte ich ein bisschen, denn als Schüler durfte ich in einem Schülerstudium schon einzelne Theologie-Vorlesungen besuchen. Aber das Leben in der Seminargemeinschaft brauchte Eingewöhnung. Und gerade am Anfang habe ich mein Zuhause in Frankfurt-Heddernheim schon vermisst. Gleich in der ersten Woche, die ich in Sankt Georgen war, bin ich an einem Abend in meine Heimatgemeinde gefahren. Dort war man gespannt, wie es denn so ist als Seminarist.
Damals habe ich vor allem erzählt, dass der Kalender plötzlich voller Pflichttermine ist. Dass ich nicht mehr jeden Sonntag da sein würde. Dass ich mich auch in der Pfarrei nicht mehr so engagieren könnte. Alles aufgeben wollte ich aber nicht, sondern mich mehr auf die Pfadfinder konzentrieren. Ich wollte so viel wie möglich raus aus dem Seminar. Ich wollte bloß kein "typischer Seminarist" werden, wie ich ihn mir vorstellte: Uniform gekleidet mit dunkler Hose und weißem Hemd (wenn man ihn lassen würde auch in Soutane), ein bisschen traditionalistisch, lieber mit anderen Mitbrüdern unterwegs als mit den alten Freunden. Und ein bisschen weltfremd, da er Sankt Georgen nie verlässt.
Nichts auf dem Campus bleibt unbeobachtet
Vielleicht liegt es ja aber gar nicht an den Seminaristen selbst, dass sie irgendwie nicht raus kommen aus ihrem Mikrokosmos. Stattdessen ist es das Priesterseminar, das oft genug verhindert, mit anderen in Kontakt zu kommen. Wenn über die "verlängerten Wochenenden", an denen jeder Jugendverband ins Zeltlager fährt, immer Seminartermine anstehen, dann kann man sich auch einfach nicht mehr im gewollten Umfang engagieren. Mich ärgerte das von Anfang an. "Mit Eintritt alle Rechte abgegeben", sagen wir Seminaristen manchmal. Und das betrifft nicht nur die Freizeit. Prinzipiell sind wir vom Urteil des Regens abhängig. Das kann durchaus dazu führen, dass man sich mit Äußerungen lieber zurückhält und möglichst nicht (negativ) auffällt. Sankt Georgen ist klein – keine vierhundert Studenten – und manchmal hat man das Gefühl, dass nichts auf dem Campus unbeobachtet bleibt.
Später, lange nach diesem ersten Abend in meiner Heimat, merkte ich, dass man aber eigentlich erst außerhalb des Priesterseminars mitbekommt, was es bedeutet, Seminarist zu sein. Von Anerkennung über kritische Nachfragen bis hin zu – zumindest unterschwelliger – Ablehnung kommt dort als Reaktion alles vor. Manche begegnen einem als Seminaristen fast schon ehrfürchtig. Dabei sind wir keine Heiligen oder perfekten Menschen. Dem Ideal, das manche uns aufbürden, können wir gar nicht entsprechen. Ein Stückweit ist das vielleicht auch eine Art "Klerikalismus", der von außen an uns herangetragen wird.
Mehr als bei anderen Studenten haben die Leute Erwartungen an einen und interessieren sich für den Stand der Dinge. "Wie lange dauert es denn noch bis zu deiner Primiz?", werde ich immer wieder gefragt, insbesondere von älteren Menschen. Auch die Gemeinde bekommt den eigenen Werdegang mit. Das Interesse ist schon groß. Erst kürzlich wurde ich gefragt, ob ich nicht mal bei einer Veranstaltung in unserer Pfarrei etwas übers Priesterseminar erzählen könnte. Und nicht zuletzt diese Texte hier sind Folge solchen Interesses. Es ist schön, wenn man merkt, dass andere den eigenen Weg begleiten. So finde ich es wirklich bestärkend, dass in meiner Heimatkirche jeden Montag nach der Messe um geistliche Berufungen gebetet wird. Ich weiß von vielen, die für mich beten.
Es ist aber auch ermutigend, wenn man als Seelsorger gefragt ist oder jemand sagt, dass er es mir den Priesterberuf zutraut. Das kommt immer wieder vor – und zwar erstaunlich oft auch von Nicht-Katholiken. Aber ich spüre zugleich auch die Ablehnung von Zölibat und kirchlicher Hierarchie, zum Teil auch sehr geschmacklos ausgedrückt. Auch wenn mich noch niemand direkt, persönlich angegangen hat. Aber wie über die Kirche, das Priesteramt oder den Zölibat gesprochen wird, kann schon wehtun. Einfach ist es also nicht immer als Seminarist.
Wer konservativ eingestellt ist, eckt an
Gerade, wenn man eher konservativ eingestellt ist, eckt man auch gern mal an. Und weil man als Seminarist häufig schon als quasi offizieller Kirchenvertreter wahrgenommen wird, erfährt das nochmal eine andere Bedeutung. Eine private Meinung wird schnell zum Standpunkt "der Kirche", ohne das mir das immer bewusst ist. Vermutlich muss ich mich auch daran gewöhnen. Man solle auf seine "Außenwirkung" achten, sagte der Regens deshalb häufig. Auch wenn ich es schwierig finde, die wirklich zu beeinflussen – und gleichzeitig "authentisch" zu sein. Das wird schließlich ebenfalls erwartet.
In meinem Freundeskreis und meiner Familie weiß man, wie ich bin. Da spielt das "Seminarist-Sein" eigentlich keine große Rolle. Und es ist auch gut, wenn es eine gewisse Normalität hat. Das verhindert, sich irgendwie für etwas Besseres zu halten. Oder wie man es heute nennt: Klerikalismus.
Teil 3: So sieht mein Tag im Priesterseminar aus
6.30 Uhr – Der Wecker klingelt
Ein normaler Tag beginnt für mich mit Waschen und Morgengebet, bestehend aus den Laudes und der Lesehore aus dem Stundengebet. Danach geht es zum Frühstück in den Speisesaal, wo alles bereitsteht. Inklusive mehrerer Tages- und Wochenzeitungen. Bis 9 Uhr kann gegessen werden, auch für Nicht-Frühaufsteher wie mich durchaus machbar. Wenn da nicht ab und zu schon um 8.45 Uhr die erste Vorlesung wäre…
8.41 Uhr – Jetzt aber schnell in den Hörsaal
Zum Hochschulgebäude ist es zum Glück nicht weit, schließlich liegt das Priesterseminar auf dem Campus. Leider verleitet das oft genug dazu, zu spät loszulaufen. Dann wird’s doch wieder hektisch. Bis 12.10 Uhr sind vormittags Vorlesungen. Gegen Ende des Studiums wird es allerdings deutlich entspannter.
12.10 Uhr – Vorlesung vorbei, auf zum Mittagsgebet
Da es um 12.30 Uhr schon zum Mittagessen geht, ist es mit dem Mittagsgebet (der Sext) oft knapp. Punkt 12.30 Uhr läutet das Glöckchen im Speisesaal und die Gespräche verstummen. Es folgt das Tischgebet und alle nehmen Platz. Nur ein paar Seminaristen laufen eilig hin und her und verteilen das Essen. Jeder ist einmal dran und am Dienstag hilft sogar das Seminarkollegium, also unsere Ausbildungsleitung. Während manche also mit dem Tischdienst beschäftigt sind, können die anderen sich in Ruhe dem Essen und den Tischgesprächen widmen. Wenn es dann an den Nachtisch geht, wird es nochmal spannend: Es folgen die Tischansagen. Und es gibt fast immer etwas zu vermelden. Bei der Ankündigung der Bar-Rechnung zuckt mancher zusammen. Genauso wie wenn es um zusätzliche Arbeiten geht. Lädt jemand zu einer Runde in die Seminarbar ein, weil er Geburtstag oder Namenstag feiert, ist die Freude natürlich groß. Geklopft wird auf jeden Fall nach jedem Beitrag.
13.00 Uhr – Sankt Georgener Gebet und Mittagspause
Nach dem Mittagessen geht es dann zum Sankt Georgener Gebet in die Seminarkirche. Es entstand während des Zweiten Weltkrieges als Zeichen der Verbundenheit der zerstreuten Seminaristen, und wird bis heute jeden Tag gebetet. Für mich ist das ein faszinierender Gedanke, dass Generationen vor mir dieses Gebet vor dem Kruzifix in der Seminarkirche gebetet haben. Im Anschluss zieht ein Teil der Seminaristen zurück in den Speisesaal, um noch einen Espresso oder Kaffee zu trinken. Andere treffen sich dazu mit Kommilitoninnen und Kommilitonen in der Mensa. Ich selbst habe zusätzlich noch eine eigene Kaffeemaschine auf dem Zimmer stehen, was es zu einem Treffpunkt für den Nachmittagskaffee macht – häufig inklusive Kuchen von meiner Oma.
14.30 Uhr – Weiter lernen
Um 14.30 Uhr geht das Uni-Programm weiter. Außer man hat Pech (oder ist besonders motiviert) und besucht vorher bereits eine Übung oder einen Lektürekurs. Und da ich es sehr schade fände, wenn ich meine Hebräisch-Kenntnisse wieder verlieren würde, quäle ich mich auch einmal die Woche in der Mittagspause ins Hochschulgebäude.
17.50 Uhr – Raus aus dem Hörsaal, rein in die Seminarkirche
Normalerweise feiern wir um 18.15 Uhr die Hl. Messe in der Seminarkirche. Normalerweise, denn mittwochs, samstags und sonntags ist das anders. Mittwochs findet mittags um 11.30 Uhr unsere "Sankt Georgener Messe" statt, ein Campus-Gottesdienst für alle, die in Sankt Georgen leben, wohnen, arbeiten und studieren. Danach essen alle gemeinsam in der Mensa, sodass auch mal der Austausch außerhalb des Seminars möglich ist. Neben den Studenten und Dozenten sind auch die Jesuiten dabei, die auf dem Campus wohnen.
Auch am Samstag und Sonntag feiern wir am Vormittag die Eucharistie. An den anderen Tagen eben um 18.15 Uhr, sodass noch etwas Zeit bleibt, die Uni-Sachen aufs Zimmer zu bringen und die Vesper, das Abendgebet zu beten. Auch bei der Liturgie gilt es natürlich Dienste zu übernehmen: ministrieren, die Lesung lesen, den Psalm singen oder die Kommunion austeilen.
18.56 Uhr – Keine Messe ohne Mahl
An die Messe schließt sich das Abendessen an. Denn – so sagte es ein Spiritual einmal – Eucharistiefeier ohne Agape ist ungültig. Haben alle aus der Seminarkirche in den Speisesaal gefunden, läutet das Glöckchen zum Gebet. Danach beginnt der Wettlauf auf das Buffet. Natürlich bietet das Abendessen auch die Gelegenheit zu Tischgesprächen.
19.35 Uhr - Abendgestaltung
Wirklich freie Abende habe ich selten. Das liegt nicht allein am Seminarprogramm. An den eigentlich "freien" Abenden fahre ich etwa zur Leiterrunde der Pfadfinder am anderen Ende der Stadt. Oder aber es steht ein Termin meiner katholischen Studentenverbindung im Kalender: Mitgliedsversammlungen, Vorträge oder gesellige Veranstaltungen.
Allzu häufig können diese Ausflüge nicht stattfinden, schließlich haben wir im Priesterseminar auch abends Pflichttermine. So ist dienstags "Stiller Abend" mit Eucharistiefeier, geistlicher Ausbildung, eucharistischer Anbetung, gemeinsamer Komplet (Nachtgebet) und Schweigen bis zum nächsten Morgen. Am Donnerstag steht hingegen "Équipe" auf dem Programm. Das ist eine Gruppe von Seminaristen, die sich einmal pro Woche mit einem Priester trifft und gemeinsam den Abend gestaltet. Gemeinsame Gebetszeit und Abendessen sind immer Bestandteil, daneben unternimmt man unterschiedliche Sachen und geht zum Beispiel ins Theater, hört sich Vorträge an oder geht ins Museum.
20.20 Uhr – Seminartermine
Klassische Anfangszeit für Seminartermine ist 20.20 Uhr. Ein Relikt aus der Zeit, in der noch alle Seminaristen um 20.00 Uhr im Fernsehraum versammelt waren, um die Tagesschau zu sehen. Einmal im Monat findet um diese Uhrzeit das Hausforum statt, in dem der Regens verschiedene Themen – wie priesterliche Spiritualität, Sexualität und Macht, Leben in der Seminargemeinschaft – behandeln kann.
21.30 Uhr – Zum Wohl!
Gerne trifft man sich am Ende des Tages nochmal in der Seminarbar. Die wird von zwei Seminaristen geführt und bietet eine unglaubliche Menge unterschiedlicher Biere, ob bayerisches Helles aus dem Kloster, regionale Biere oder ein herbes Pils aus dem Norden – es ist für jeden etwas dabei. Und vor allem gibt es hier die Gelegenheit zum ungezwungenen Austausch.
23.30 Uhr – Schon wieder zu spät geworden
Keineswegs wird es jeden Abend zu spät, aber Termine außerhalb oder auch die anregenden Diskussionen in der Seminarbar halten mich viel zu häufig davon ab, früh schlafen zu gehen. Manchmal muss ich auch noch einmal an den Schreibtisch. Wobei das von Tag zu Tag natürlich anders ist. Prinzipiell ist Schlaf natürlich wichtig: Ohne ausreichenden Schlaf kann man überhaupt kein geistliches Leben führen. Da bin ich leider sehr unvorbildlich. Vor dem Schlafen gehen wird ein letztes Mal das Stundenbuch zum Nachtgebet aufgeschlagen. Dann heißt es: "Eine ruhige Nacht und ein gutes Ende, gewähre uns der allmächtige Herr."
Teil 4: Meine Ausbildung im Priesterseminar ist mehr als nur Theorie
Wenn man manche Mitbrüder fragen würde, was sie an der Ausbildung im Priesterseminar am meisten kritisieren, wäre die Antwort wohl klar: "Die Praxis fehlt." Ich finde das allerdings weder verwunderlich noch besonders schlimm. In der ersten Phase der Ausbildung ist eben das Studium dran, also Theorie. Wir studieren dafür an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen – und leben sogar auf dem Campus. Mir selbst machen Theologie und Philosophie Freude. Und bisher lief das Studium auch recht erfolgreich. Aber irgendwann endet es. In meinem Falle voraussichtlich in zwei Semestern, dann hoffentlich mit Magister theologiae und dem Bachelor in Philosophie.
Predigen und Beichte-Hören werden geübt
Erst dann wird’s wirklich praktisch, nämlich im Pastoralkurs. Wie genau der aussehen wird, weiß ich zwar noch nicht. Einiges muss man aber üben und ausprobieren, bevor man auf die Gläubigen "losgelassen" wird: Wie nehme ich eine Beichte ab? Wie halte ich eine gute Predigt? Wie funktioniert die Verwaltung? Aber auch ein Kind zu taufen oder eine Messe zu feiern, muss man üben. Ich bin gespannt, wie wir das lernen werden. Ein bisschen was über die Zeit nach dem Studium weiß man aber schon, bevor es losgehen wird.
Der Pastoralkurs besteht unter anderem aus gemeinsamen Wochen mit den angehenden Pastoral- und Gemeindereferenten im Priesterseminar Limburg. Dort geht es um Themen wie Jugendpastoral, Religionspädagogik, Gemeindediakonie oder um die Leitung von Gruppen. Andere Kurse finden dann nur für Priesteramtskandidaten – meist aus verschiedenen Bistümern – in Hamburg und Osnabrück statt. Themen sind Theologie und Spiritualität des Diakonats und des Priestertums, die zölibatäre Lebensform, Tagzeitenliturgie, Pastoralliturgik, Liturgischer Gesang, Homiletik, Sakramentenpastoral, Kirchliches Recht, Trauerpastoral oder Pastorale Gesprächsführung.
Das bedeutet aber nicht, dass wir vorher ganz ohne praktische Erfahrungen auskommen müssen. Das fängt schon damit an, dass wir Aufgaben in der Liturgie übernehmen. So gehört das regelmäßige Ministrieren fest dazu. Am Anfang des Studiums wird man außerdem zum Lektor beauftragt und darf dann in der Heiligen Messe die Lesung vortragen. Außerdem muss man Fürbitten und das Liedprogramm vorbereiten. Dazu gibt es auch an der Hochschule Kurse, die wir besuchen – und danach heißt es "learning by doing". Das Praktische am Seminar ist allerdings, dass es immer auch Seminaristen aus höheren Semestern gibt, die einem helfen. Denn es ist gar nicht so einfach, wenn man etwa den Psalm das erste Mal alleine vorsingen muss. Damit das klappt, erhalten wir aber zusätzlich an der Hochschule und im Seminar noch Sprecherziehung und Gesangsunterricht.
Später wird man zum Akolythen beauftragt und darf die heilige Kommunion austeilen und die Kelche und Schalen reinigen. Ebenso gehören eucharistische Andachten zu den Aufgaben oder den Kranken die Kommunion zu bringen. Auch hierfür bekommen wir natürlich eine kleine Einführung, bevor wir dann unseren Dienst verrichten dürfen. So wird man auch an die Liturgie mehr und mehr herangeführt.
Im Priesterseminar gibt es einen "Liturgiepräfekt"
Das Predigen lernen wird in den Homiletik-Kursen. Zwei Kurse gehören schon ins normale Studium in Sankt Georgen. Dazu kommt, zumindest einmal im Semester eine kleine "Statio" zu halten, eine Art Mini-Predigt zu Beginn der Messfeier, die auf den Gottesdienst vorbereiten soll. Ich selbst habe daneben noch zwei Rhetorik-Kurse besucht, die im Philosophiestudium dazu gehören.
Darüber hinaus sollen wir im Priesterseminar in verschiedenen Hausämtern lernen, Verantwortung zu übernehmen. So war ich als "Liturgiepräfekt" für zwei Semester dafür zuständig, die liturgischen Dienste einzuteilen und mich um den Gottesdienstplan zu kümmern. Normalerweise hat jeder Seminarist im Laufe des Studiums ein solches Hausamt inne, getreu dem Motto: "Wer im Kleinen treu ist, der ist es auch im Großen." (ähnlich wie in Mt 25,21)
Jeder Seminarist muss außerdem ein soziales oder diakonales Engagement haben. Für mich ist das die Jugendarbeit bei den Pfadfindern. Dort habe ich auch Schulungen für Gruppenleiter gemacht und dabei einiges gelernt, was ich auch später gebrauchen kann. Ich hatte außerdem das Glück, dass zur Leiterausbildung im Pfadfinderverband DPSG auch eine Praxisbegleitung gehört und ich so nochmal unterstützt wurde. Auch das Engagement in meiner katholischen Studentenverbindung hilft mir, denn auch hier lernt man Verantwortung in Vorstandsämtern zu übernehmen – und vor allem erhält man kritische Rückmeldungen, aber auch ehrliches Lob.
An Priestern orientieren um pastorale Praxis zu lernen
Besonders wichtig sind aber auch die Praktika, die wir Seminaristen aus Sankt Georgen absolvieren müssen. Direkt nach dem ersten Semester habe ich ein Pfarrpraktikum gemacht, um entscheiden zu können, ob die Arbeit in der Seelsorge für mich taugt. Ich habe mit dem Pfarrer im Pfarrhaus gelebt, habe die Gemeinde kennen gelernt, war mit der Pastoralassistentin an der Schule und konnte so sehen, wie die Seelsorge in einer anderen Gemeinde als meiner Heimatpfarrei aussieht. Mich hat das Praktikum damals sehr bestärkt. Ich habe einen überzeugenden Priester kennengelernt, der sich wirklich für das Haus des HERRN verzehrt hat (Ps 69,10) – kein halbes Jahr später ist Pfarrer Franz-Josef Kremer leider überraschend verstorben. Vielleicht ist die Orientierung an priesterlichen Gestalten aber der beste Weg, um die pastorale Praxis zu lernen.
Im März steht für mich noch ein Schulpraktikum an, das ergänzend zu den anderen religionspädagogischen Lehrveranstaltungen ist. Mein drittes Praktikum ist das sogenannte Wahlpraktikum, das ich im Medienbereich machen wollte. Motiviert wurde das auch durch meine Teilnahme am Medienstudienprogramm von Sankt Georgen, das tatsächlich sehr praktisch orientiert ist. Gelandet bin ich schließlich bei katholisch.de, wo ich jetzt diese Zeilen schreiben darf und hoffe, auch einiges für meine spätere Arbeit mitnehmen zu können. Die Rückmeldungen zu Stil und Sprache werden mir auf jeden Fall für das Predigt-Schreiben helfen, da bin ich mir sicher. Und Verkündigung findet schließlich auch in den Medien statt. Das kann man praktischerweise ebenfalls schon in der Seminarzeit tun.
Teil 5: Was sich bei der Priesterausbildung ändern muss – und was nicht
Dass die Kirche in der Krise steckt, ist kein Geheimnis. Wie die Diskussionen in ihr verlaufen und wie groß die Spaltung in ihr ist, auch nicht. In dieser Situation beginnt die Kirche in Deutschland einen "synodalen Weg". In dieser Situation machen sich aber auch immer noch Männer auf, um in der besonderen Nachfolge Jesu Priester zu werden. Vermutlich war das zu kaum einer Zeit so schwierig wie heute. Missbrauchsskandal, Bedeutungsverlust, zurückgehende Zahlen der Gläubigen, des Sakramentenempfangs, Spaltungen in der Kirche – und dazu die Anforderungen und Herausforderungen, die der Priesterberuf schon immer mit sich brachte. Dazu zählt das geistliche Leben, die Verantwortung für die anvertraute Gemeinde, die Schwierigkeit, allen Ansprüchen irgendwie zu genügen.
Bald mehr Bundesliga-Fußballprofis als Seminaristen
Es scheint nicht verwunderlich, dass die Anzahl der Priesterkandidaten so drastisch gefallen ist. Um die Lage zu verdeutlichen: Es gibt bald mehr Bundesliga-Fußballprofis als Seminaristen in Deutschland. Klar ist auch: Nicht jeder, der ins Priesterseminar eintritt, wird auch geweiht. Und auch die Berichte von Priestern, die ihren Beruf – und vielleicht auch ihre Berufung – aufgeben, scheinen immer mehr zu werden. In der Konsequenz werden die "pastoralen Räume" und Pfarreien immer größer, die Verwaltung immer schwieriger, die Zeit für die Seelsorge immer knapper. Unsere Ausbilder in den Priesterseminaren sind erschreckend ehrlich, wenn sie sagen, dass sie nicht wissen, für welche kirchliche Situation sie uns eigentlich ausbilden.
Was würde helfen? Öffnung des Weiheamtes für "viri probati"? Frauenordination? Aufgabe des Zölibats? Laien als Pfarrei-Leiter? Verwaltungsleiter für die Pfarreien? Bei einigen Themen sind die Antworten schon gefallen. Andere werden seit Jahren diskutiert. Leider oftmals völlig vorbei an den Priesterkandidaten und Priestern selbst. So hat zum Beispiel der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) "die Etablierung einer lebensnahen Priesterausbildung durch moderne Wohnformen, die an die Stelle der Priesterseminare treten" gefordert. Ich möchte dem BDKJ nicht verbieten, Forderungen zur Priesterausbildung zu formulieren. Wäre es nicht aber besser, wenn der BDKJ vorher mal bei den Seminaristen nachgefragt hätte? Ähnlich sieht es mit der Behauptung aus, dass Sexualität in der Priesterausbildung zu wenig vorkomme und das Thema tabuisiert werde. Auf meine Erwiderung habe ich vom BDKJ nie eine Antwort bekommen.
Doch zurück zu den inhaltlichen Problemen: Natürlich finde auch ich die großen neuen Strukturen beängstigend. Ich hoffe zwar, dass es dann Verwaltungsangestellte gibt, die beim Managen der Großpfarrei unterstützen. Aber ich kann mir noch nicht vorstellen, wie man als Priester in ihr wirken soll. Da ist es letztlich gar nicht so entscheidend, ob Laien die kleineren Gemeinden oder Pfarreien leiten. So oder so ist man als Priester dann für einige tausend Gläubige verantwortlich. Wie das funktionieren soll, weiß ich nicht. Wirklich überzeugende Ideen sehe ich da noch nicht. Zudem sind die, die in diesen neuen Strukturen wirken werden, nicht unbedingt die, die jetzt über Modelle für Pfarreien und Seelsorge diskutieren und entscheiden.
Wer redet beim "synodalen Weg" über "Priesterliche Lebensformen"?
Auch beim "synodalen Weg" frage ich mich, wer da über die "Priesterliche Lebensform" mitreden darf und soll. Zumindest im vorbereitenden Forum sind lediglich vier der 14 Teilnehmer selbst Priester. Aber keiner ist aktuell in der Priesterausbildung tätig. Und auch kein Priesteramtskandidat ist dabei. Ich hoffe, dass am weiteren Prozess auch Regenten, Spirituale, Priesterkandidaten, junge Priester, Tätige in der Berufungspastoral und vielleicht auch ehemalige Seminaristen eingebunden werden, die nachher nicht zum Priester geweiht wurden. Deren Perspektiven wären sicher spannend. Hinzu kommt die Frage, wie sich priesterliche Lebensformen noch einmal unterscheiden können – etwa in der Weltkirche oder in den Orden – priesterliche Lebensform gibt es nämlich nur im Plural.
Auch aus meiner Sicht müsste sich einiges verändern. Aber ich sehe die Lösung der Probleme weder in der Öffnung des Priesteramtes für Frauen noch für Verheiratete. Zumal die Frage nach der Frauenordination definitiv beantwortet ist. Ich glaube, wir brauchen vor allem eine andere Atmosphäre in den Gemeinden, die Berufungen fördert. Vielleicht kann der "synodale Weg" dabei helfen, das Thema Berufung wieder mehr in den Blick zu nehmen. Vielleicht können so junge Menschen motiviert werden, ihrem Ruf mehr nach zu spüren. Vielleicht gelingt es in diesem Prozess, das Schöne und Erfüllende am Priesterberuf herauszustellen und mehr über die Freude am Glauben und an der Berufung zu sprechen, als nur über den Frust.
Ganz konkret sollte man beim "synodalen Weg" nochmal auf die Priesterausbildung in Deutschland schauen. So Unrecht hat der BDKJ nicht, wenn er darauf hinweist. Hier müsste sich durchaus etwas verändern. So braucht es für eine gute Priesterausbildung eine gewisse Anzahl an Seminaristen, die im Priesterseminar leben. Nur mit unterschiedliche Persönlichkeiten, Frömmigkeitsformen und Meinungen kann im Austausch und der Auseinandersetzung eine gute Persönlichkeitsbildung gewährleistet werden. Früher hieß es, Seminare mit unter dreißig Seminaristen seien zu klein. Nicht mal Sankt Georgen hat noch diese Größe. Ehrlicherweise müsste man noch mehr Seminare zusammenlegen. Ich verstehe nicht so recht, warum das mit Gemeinden geht, aber nicht mit Priesterseminaren. Da diese Frage tatsächlich das Gebiet der gesamten Bundesrepublik betrifft, wäre das meiner Meinung nach etwas, worüber der "synodale Weg" tatsächlich entscheiden könnte.
Mehr gemeinsam mit anderen Studenten
Meines Erachtens könnte außerdem viel mehr in der Priesterausbildung gemeinsam mit den anderen Studenten geschehen, die einen kirchlichen Beruf ergreifen wollen. Dann wären die Seminare auch viel weniger "Parallelwelten". Denn auch wenn wir in den Vorlesungen gemeinsam sitzen, ich glaube wir könnten noch deutlich mehr zusammen lernen. Auch wenn es spezifische Themen für Priester und Priesterkandidaten gibt, es gibt viel mehr, was zusammen gehen würde. Mit Fragen nach christlicher Spiritualität, der Zukunft in den Gemeinden oder missionarischer Pastoral kann man sich gemeinsam den anderen Studenten austauschen – und sollte es auch. Eine künstliche Trennung von Priesterkandidaten und "Laien-Theologen" finde ich unsinnig.
Kirche braucht gerade heute gute Priester und dafür braucht es neben einem fachlich guten Studium auch die persönliche Reife. Auch wenn keiner weiß, wie die Kirche in einigen Jahren aussehen wird: eine gute Priesterbildung ist – egal wie – unerlässlich.
Teil 6: Zölibat: Warum viele Vorurteile falsch sind – und ich ihn leben will
Kaum ein Thema interessiert Außenstehende so wie der Zölibat. Klar: "Sex sells". Immer wieder landen dann auch Anfragen dazu von den Medien im Seminar: Ob jemand bereit wäre dazu etwas zu sagen, lautet dann die Frage des Regens an die versammelte Seminargemeinschaft. Die schweigt darauf in der Regel gemeinschaftlich. Erstaunlich? Überhaupt nicht. Und auch nicht damit zu erklären, dass Seminaristen eben einfach verklemmt seien. Niemand möchte so Intimes in der Öffentlichkeit preisgeben – ob er nun verheiratet ist oder zölibatär lebt.
Dass Seminaristen öffentlich ungern über den Zölibat sprechen wollen, hat aber noch einen weiteren Grund. In der Regel wird in der Gesellschaft nicht (mehr) positiv oder einladend über den Zölibat gesprochen. Man erwartet so auch keine faire Betrachtung. Zumindest ich würde mich keiner Anfrage eines Journalisten stellen, wo sich schon im Vorfeld andeutet, wie der Artikel aussehen wird. Nämlich der nächste negative Beitrag zum "Pflichtzölibat", der Männer unnatürlicher Weise dazu zwingt, auf ihre Sexualität zu verzichten.
Man muss für diese Vorbehalte aber gar nicht so weit gehen. Auch im eigenen Umfeld wird letztlich meistens das Herausfordernde am Zölibat und nicht das Bereichernde betont. Schön ist das für einen als Kandidaten nicht, wenn zumindest die gefühlte Mehrheit mit der eigenen Lebensentscheidung nicht einverstanden ist. Einer großen Gruppe scheint der Zölibat wirklich ein Dorn im Auge. Einer größer werdenden Gruppe ist diese Lebensform aber auch einfach schlicht egal. Und für viele ist der Zölibat der Hauptgrund für Missbrauch durch Priester; ein Vorurteil, das längst widerlegt ist.
Ebenfalls ein weitverbreitetes Vorurteil ist, dass Sexualität in der Ausbildung tabuisiert oder zu wenig behandelt wird. Ich kann das jedenfalls nicht bestätigen. Im Gegenteil. Seit ich ins Priesterseminar gekommen bin, geht es immer wieder um dieses Thema. Schon im propädeutischen Vorkurs haben wir darüber gesprochen und auch in diversen anderen Formaten: Hausforen, Thematisches Wochenende oder geistliche Ausbildung. So haben wir uns auch in unserer Reflexionszeit Anfang des Jahres nochmal mit der Seelsorgestudie von 2015 befasst. Genauso wurde auch die MHG-Studie, die nicht zuletzt den "synodalen Weg" in Gang gesetzt hat, mehrfach thematisiert. Nachdem wir unser erstes Hausforum unter der Überschrift "Soziale und affektive Reife" hinter uns hatten, sagte ein Mitbruder sogar: "Ich habe noch nie so viel über Sexualität gesprochen wie hier im Seminar."
Aber es gibt noch ein Problem, wenn es um die Darstellung des Zölibats geht: Er wird auf die (nicht ausgelebte) Sexualität reduziert. Dass Zölibat als Ehelosigkeit "um des Himmelreiches Willen" aber mehr bedeutet als das "Problem", keinen Sex zu haben, wurde mir im Laufe der Ausbildung immer klarer. Daneben sind andere Aspekte mindestens genauso wichtig: die Frage danach, wie man dennoch intime, vertrauensvolle Beziehungen führen kann. Oder die Frage, wie man mit Einsamkeit umgeht.
Ausbildung verschweigt die Herausforderungen nicht
Über alle diese Aspekte und Fragen macht man sich Gedanken. In der Ausbildung werden einem die Herausforderungen des zölibatären Lebens nicht verschwiegen. In Gesprächen und Vorträgen geht es dabei nicht nur um Prävention, sondern auch den Umgang mit Einsamkeit, die Bedeutung von Freundschaften, die Fragen nach Orientierung und Präferenzen, nach Nähe und Distanz. Dafür kommen auch immer wieder Experten zu uns, um mit uns zu sprechen.
Das Entscheidendste ist meiner Meinung nach aber nicht, wie viel ich über die Herausforderungen des Zölibats weiß. Wichtiger ist, dass ich mir die Frage stelle, warum ich mich für den Zölibat entscheide. Eine Frage, die vor allem in der geistlichen Ausbildung und Begleitung gestellt wird. Denn am Ende der Seminarausbildung soll die Lebensentscheidung für den Zölibat fallen. Oder eben nicht. Niemand zwingt einen dazu oder beeinflusst die Entscheidung in die eine oder andere Richtung.
Lange war für mich einfach völlig klar und selbstverständlich, dass ein Priester zölibatär lebt. Und genauso selbstverständlich, dass es auch Seelsorger gibt, die das nicht tun. Schließlich sind meine Eltern selbst beide in der Seelsorge tätig. Dennoch bin ich nie auf die Idee gekommen, Pastoralreferent zu werden. Als mich mein damaliger Regens einmal dazu fragte, war ich vollkommen erstaunt. Ich würde sagen, dass es im Letzten eine Frage der eigenen Berufung ist.
Und dann ist es ganz einfach und selbstverständlich mit dem Zölibat? Ganz offensichtlich nicht. Es gibt immer wieder auch Studenten, die das Priesterseminar deswegen verlassen. Und manche von ihnen fühlen sich dennoch zum Priester berufen. Die Zeit im Priesterseminar ist ganz einfach eine Probezeit. Ganz allgemein kann ich aber sagen: Der Zölibat ist wie die Ehe eine Lebensentscheidung. Es ist zunächst mal ein Versprechen. Eine Garantie gibt es nicht. Es kommt dann auf den Versuch an, treu zu sein.
Priesterlicher Lebennstil muss sich auch sonst unterscheiden
Für mich geht es beim Zölibatsversprechen aber auch darum, anders leben zu wollen als ein Großteil der anderen, so dass die Menschen fragen: Was treibt dich dazu an? Natürlich darf es nicht nur bei der Ehelosigkeit bleiben. Der priesterliche Lebensstil muss sich auch sonst unterscheiden. Wer seinen Verzicht durch etwas anderes kompensiert, der verzichtet schließlich nicht wirklich. Dann gibt man aber kein Zeichen ab, sodass die Menschen nach der Hoffnung fragen, die uns erfüllt (vgl. 1 Petr 3,15).
Der Zölibat muss also in einen Lebensstil eingebettet sein. Und zwar in einen, der den priesterlichen Dienst ganz durchscheinen lässt. Der Bereitschaft ausdrückt, Verfügbarkeit für andere. Der Zölibat ermöglicht diese Freiheit, sich für andere verfügbar zu machen. Es geht aber nicht darum völlig frei zu sein von menschlichen Bindungen und Beziehungen. Aber doch zumindest so frei, dass die erste Verantwortung demjenigen gilt, der gerade meine Hilfe braucht.
Die meisten Seminaristen wünschen sich aber eine Form der "vita communis", des Zusammenlebens. Einsamer Einzelkämpfer will niemand sein. Ich würde auch wirklich nicht sagen, dass ich einsam bin. Natürlich wird sich das verändern, wenn ich nicht mehr im Seminar wohne. Und ich würde mir auch später eine Form echten Zusammenlebens mit anderen wünschen. Auch habe ich Freundschaften und Gemeinschaften, die mich – hoffentlich – tragen können.
Zentral ist aber, dass sich der gesamte Dienst und das gesamte Leben von etwas anderem her tragen: nämlich von der Beziehung zu Christus. Für den priesterlichen Lebensstil ist sie entscheidend. Der Zölibat ist zudem Jesu Lebensstil gewesen: Er hatte keine Frau, kein Haus, war unabhängig von seiner Familie. Trotzdem war auch er nicht einsam. Er war immer im Kontakt mit den Menschen, war immer für sie da und hatte auch eine feste Gemeinschaft um sich. Aber er hat auch immer wieder die Einsamkeit gesucht, um zu beten. Und so sollten Priester meiner Meinung nach auch leben: aus dem Gebet heraus und für und mit den Menschen.
Von Johannes Köhler, zuerst veröffentlicht als Serie auf "katholisch.de".